„… Und ich hatte mich immer gefragt, was Rike an der Stelle jedes Mal anbellte, bis ich ihn sah.“ So Mutterns amüsierte Schilderung ihrer Begegnung mit dem „Ackermann“, einem genius loci am Rande ihres Dorfes. Den Namen verpaßten wir ihm natürlich aufgrund seiner Betätigung: Er hütet den Acker oder auch die Äcker ringsum. Einen gesichteten Waldhüter gibt’s auch, und ich bin Muttern sehr dankbar, daß sie ihn nicht – wie heutzutage in der esoterischen Szene so inflationär gebraucht – als „Waldengel“ bezeichnete. Ich schließe jede Wette ab, daß mehr als die Hälfte der angeblichen Engel keine sind, sondern ganz einfach Wesenheiten. (Wobei es da ja auch wieder Abstufungen gibt.) Margot Ruis sagte es in Naturwesen – Botschaft von vergessenen Freunden so schön: „Ich bin mit dieser Bezeichnung, ‚Engel’, sehr zurückhaltend.“ Auch die antiken Götter sind keine „Götter“ oder Engel, sie sind hohe Wesenheiten. Mich verwundert nicht, daß die frühen Völker (daß wir in unseren frühen Inkarnationen) sie als Götter bezeichneten, denn sie sind schon eine Nummer größer als der durchschnittliche Baumelf oder Feldhüter. Ein einziges Mal hatte ich für einen winzigen Sekundenbruchteil Kontakt mit einem von ihnen, und die dahinterliegende Kraft haute mich schon einigermaßen aus den Schuhen. Dennoch sind auch sie nur Diener Gottes.
In Sagen und Märchen tauchen die kleinen und großen Wesenheiten massenweise auf, wenn auch menschlich verfremdet und mit allerlei Phantasie bekleidet. Einer der bekanntesten „Geister des Ortes“ ist der Hüter des Riesengebirges, Rübezahl. In der deutschen Wikipedia wird hauptsächlich über den Ursprung seines Namens diskutiert (gähn), während ich es ausgesprochen lustig fand zu sehen, daß er im Polnischen wortwörtlich übersetzt wurde, während – unfaßbar, daß es überhaupt einen Eintrag gibt! – er im Russischen seinen deutschen Namen behalten hat: Pюбeцaль.
Die Geschichten um Rübezahl sind Legion. Er wird als launischer Geselle geschildert, der den Menschen nicht unbedingt grün ist, allerlei bösen Schabernack ausheckt, mitunter aber auch den Schwachen und in Not Geratenen hilft. Filmisch wurde der Stoff einige Male angefaßt, am werkgetreuesten wohl in Rübezahl – Herr der Berge von 1957. Die Hintergrundgeschichte ist sehr nett: Der Grund, weswegen modernere Geschlechter den Berggeist nicht mehr zu Gesicht bekommen haben, liegt darin, daß er sich tief ins Innere der Berge zurückgezogen hat, weil er mit den Menschen nichts mehr zu tun haben will. Bis er hört, daß man ihn inzwischen für eine Märchenfigur hält – da ist die Empörung natürlich groß, und der alte Rübezahl macht sich auf, seine Existenz nachdrücklich zu beweisen. Was darauf folgt, ist eine Mischung aus bekannten Sagen um den Herren vom Berge und neuerfundener Episoden.
Wikipedia übersieht in seinem Artikel einen, wenn nicht den zentralen Punkt des Films. Rübezahl – Herr der Berge war der erste (westdeutsche) Film, der nach dem Krieg im Riesengebirge gedreht wurde, also nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Schlesien. Er zielt ganz unverschleiert auf die Vertriebenen, auf ihr Heimweh, ihre Erinnerungen, zeigt ihnen: „Seht, so sieht es heute aus, das Land und die Berge sind immer noch die gleichen geblieben.“ Wer bietet sich da besser als Held der Geschichte an als die Identifikationsfigur der Schlesier schlechthin, Rübezahl? (Man denke in dem Zusammenhang auch an das Lied Hohe Tannen, ebenfalls werbewirksam in dem von Themen der Vertreibung durchzogenen gleichnamigen Film verwendet.) Viele Landschaftsszenen, zum ersten Mal in Farbe gedreht, sind da natürlich Pflicht und mögen einem heutigen Zuschauer, der den Hintergrund nicht kennt, überflüssig bis langweilig erscheinen. Im Kontext der Entstehung des Films machen sie aber vollkommen Sinn.
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