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Posts Tagged ‘Pitlochry’

Da ich der Bahn nur das Schlimmste zutraue, fuhr ich schon am Vorabend nach Frankfurt – unser Zug hatte prompt eine halbe Stunde Verspätung. Schon gerechtfertigt, die Hotelkosten.
Am Flughafen entdecke ich jedesmal neue Ecken. Meine Sicherheitskontrolle diesmal hatte bereits einen Ganzkörperscanner, der allerdings so wild nicht sein kann, denn durch meinen Dutt kam er nicht durch. Also Handkontrolle, eine Situation, die mich unvermutet an Outlanders „Wentworth Prison“ erinnerte, als Jack Claires Frisur auf Waffen durchsucht. Ich mußte mir ein Grinsen verbeißen.
Wie immer ging auch das Handgepäck nicht so ohne weiteres durch. Meine Güte – frau braucht halt ein paar Dinge in greifbarer Nähe! Endlich war der verdächtige Gegenstand gefunden: Mit einem vernichtenden Blick hielt die Kontrolleurin ihrem Kollegen am Scanner den Lippenstift hin. Männer! Okay, ich finde ja auch, daß „Plum Diva“ die Bombe ist, aber…

Im Flieger saß ich neben einem Ehepaar aus Neuseeland, was sehr nett war, denn so konnte ich meine aktiven Sprachkenntnisse schon mal aufwärmen. Wurde auch gleich gewarnt, in Schottland würde es regnen – die Tochter hatte es mitgeteilt.
Stimmte dann auch.
Edinburgh Airport ist eine übersichtliche Angelegenheit. („Mein“ Ehepaar war sich uneins – er haßt den Flughafen, sie findet ihn nett.) Anscheinend kamen drei Maschinen aus Deutschland etwa zeitgleich an (Düsseldorf, Stuttgart und Frankfurt), und es herrschte ein irrer Betrieb bei der Einreise. Ich fragte mich, wie das werden soll, wenn Schottland die EU verläßt; das Personal ist ja jetzt schon überfordert. Wir glücklichen Besitzer eines biometrischen Reisepasses (ich gratulierte mir, ihn eingesteckt zu haben) wurden gleich zur Seite gewinkt und waren in null komma nichts durch die elektronische Kontrolle durch.
Mit dem Airlink-Bus, der vor dem Terminal abfährt, sollte es dann in die City gehen. Es fährt auch eine Tram, ist aber teurer und langsamer. Aber zunächst galt: Das Voucher-System.

Viele Tickets in Schottland kann man online buchen. Anders als in Deutschland jedoch ist das, was man sich anschließend ausdruckt, kein Ticket, sondern ein Voucher oder eine Reservierung für ein Ticket. Das muß man sich vor Ort im Austausch für den Voucher abholen – meist am Schalter. Ich finde das durchaus lustig. Man hat nicht wirklich etwas von Online-Buchungen, wenn man dann trotzdem noch das eigentliche Ticket abholen muß. Andererseits hat das Bodenpersonal damit seine Existenzberechtigung, anders als hierzulande, wo man ja kaum noch Menschen antrifft oder gar, wie bei der Bahn, dafür bezahlen muß, sich am Schalter bedienen zu lassen.

Also: Mit Voucher (Open return ticket) zum Airlink-Kiosk, Ticket abgeholt, zum Bus und ab in die City. Von der Station Haymarket aus ging’s gen Nord-Westen. Hier traf ich erstmals die Sperren an, von denen man hört. Kein Durchgang von oder zu den Bahnsteigen ohne Ticket! Es wird gescannt, die Türen öffnen sich (optimalerweise). Der Zug nach Pitlochry nun war voll. Wirklich. Ich fand einen Notsitz im Türenbereich. Hierzulande würde man’s als Regionalzug oder S-Bahn bezeichnen, aber er legt ordentlich Strecke zurück. Endstation war Inverness. In jedem Zug, mit dem ich fuhr (und sie hatten alle dieses kleine Format), gab es übrigens einen Snackservice. Ja, mit echtem Personal.

Der Bahnhof in Pitlochry hat die Barrierefreiheit noch nicht entdeckt. Zwei Radlerinnen mußten ihre Gefährte über die Fußgängerbrücke schleppen – kein Vergnügen.
Ich hatte derweil ganz andere Sorgen. Meine kampferprobten und geliebten Wanderstiefel zeigten zu meinem Entsetzen starke Anzeichen des Verfalls: Namentlich den wachsenden Riß entlang der Sohlennaht. Es wäre sehr schlau gewesen, das daheim festzustellen. So hatte ich für den nächsten Tag eine fünfstündige Wanderung vor mir und die Gefahr, diese entweder mit kaputten oder aber nagelneuen und nicht eingelaufenen Schuhen zu bewältigen.
Kleber war meine erste Wahl. Leider führte nicht mal das Schreibwarengeschäft welchen. So landete ich am Ende doch im Outdoorladen und kaufte Wanderschuhe. Mein raffinierter Plan war, die alten Schuhe noch so lange zu tragen wie möglich und dann zu wechseln. So die Theorie. Praktisch wollte ich dann doch auf Gewicht verzichten, und da nur der rechte Stiefel kurz vor dem Verenden aussah, packte ich nur den entsprechenden rechten Schuh ein. Sparen am falschen Platz vielleicht, wie sich herausstellte.

Mein B&B jedenfalls war Atholl Villa, die ich empfehlen kann. Bessere Budgethotels, generell was die B&Bs meiner Reise angeht, habe ich nie angetroffen. Eine originelle Idee, die mir nicht wieder begegnete, war die Frühstücksbestellkarte. Denn: In Schottland frühstückt man, zumindest traditionell, warm. Nach einem „continental breakfast“ wird einem das volle Programm geboten: Wahlweise Porridge, verschiedene Sorten Ei mit Zutaten und natürlich Kipper oder aber das „Full/Traditional Schottish breakfast“, und das ist eine Mahlzeit für sich. Besteht üblicherweise aus Ei, baked beans, Pilzen, Tomaten, black pudding, Schinken und Würstchen. In der Atholl Villa nun konnte man die verschiedenen Komponenten, die man wünschte, ankreuzen und reichte die Karte für den nächsten Morgen dann an der Rezeption ein. Selbst unter Weglassung aller Fleischzutaten ist es ein gigantisches Essen, und ich fürchtete, keinen Schritt gen Bealach na Searmoin und Killiecrankie machen zu können.
Und ja, ich schnaufte erheblich, was aber auch damit zusammenhängen könnte, daß es pausenlos bergauf ging. Die Routenbeschreibungen (es gibt zwei gute) klingen in der Hinsicht so harmlos, wie sie auch im späteren Streckenverlauf nicht erwähnen, daß sie in einem Satz mal eben mehrere Kilometer abhandeln. Auf dem Ben-Vrackie-Parkplatz gab der rechte Stiefel den Geist auf – oder was ich da noch dafür hielt. Ha! Schuh gewechselt, weiter ging’s. Da ich recht früh unterwegs war, traf man noch nicht so viele andere Wanderer, aber es war nett, daß man sich (auch mit den Anwohnern) noch grüßte.

Es war ein Regentag, Nieselregen, was zwar sehr erfrischte beim Bergaufkraxeln, aber eine Regenjacke erforderte, unter der man gleichzeitig schwitzte. Die Wolken hingen sehr tief, und je höher man kam, desto diesiger wurde es. Schließlich marschierte ich allein durch offenes Moorland mit einer Sicht von wenigen Metern – eine Szene direkt aus dem Hound of the Baskervilles!
„An energetic climb rises into the col below Meall na Aodainn Moire“, fuhr die Wegbeschreibung fröhlich fort, und ich verfluchte alle Berglandschaften mit ihren energetic climbs. Vom Bealach na Searmoin sah ich nicht das geringste. Ich meine, wörtlich. Aber dann wehte der Wind für einen Moment die Schwaden beiseite, und die Berghänge waren nahe herangerückt – ein Erlebnis!

Derweil klaffte die Sohle meines linken Stiefels auch schon bedrohlich weit offen, was mangels eines mitgeführten Ersatzes ein echtes Problem war. Ich hatte noch mehr als die Hälfte des Weges vor mir.
Es ist erstaunlich, wie wenig funktionsfähig Outdoor-Ausrüstung im Notfall ist. Schnüre sitzen überall, aber in der Regel keine, die sich lösen lassen. Irgendwie stückelte ich genug Band zusammen, um wenigstens den Vorderteil der Sohle anzubinden, aber spaßig war der Marsch nicht. Endlich ging’s abwärts, eher langweilig in Serpentinen über Weideland. Dafür sah man unterhalb der Wolkenschicht endlich wieder was. Unterhalb eines Bauernhofes fiel die Stütze, die sich zwischen innerer und äußerer Sohle befindet (wieder was gelernt), heraus. Kurz darauf entdeckte ich jede Menge herumliegendes Band und schnappte mir eine Länge, mit der ich festzurrte, was noch ging. Und so schlappte ich weiter bergab zum Besucherzentrum von Killiecrankie, wo die Sohle endgültig abging, mit Schnüren und allem.

Ich muß hier dringend hervorheben, wie phantastisch meine Lowa-Stiefel sind. Waren. Ich hatte noch rund 5 km Wanderung vor mir, und selbst ohne Sohle war das machbar. Kein wunder oder nasser Fuß. Diese Stiefel waren die einzigen Schuhe, die von Anfang an paßten, kein Einlaufen erforderten, selbst bei meinen superempfindlichen Füßen keine Blasen verursachten. So etwas finde ich nie wieder.

Aber nun: Killiecrankie. Schon bei der Anreise hatte ich bemerkt, wie ähnlich die Landschaft meinem heimischen Solling ist, und die schöne Waldwanderung bestätigte es. Killiecrankie ist auch ein bekannter und beliebter Wanderpfad, und so herrschte erheblich mehr Verkehr als in Moor und Bergen. Und trotzdem kam man sofort ins Gespräch mit Leuten, die man traf…

Übrigens: All die Frühstückskalorien waren vor der Rückkehr in die Zivilisation schon wieder verbrannt.

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